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Ein Dialog zwischen Juden und Muslimen in Berlin:
Begegnungen zwischen Ramadan und Chanukka

Ramadan in Eskisehir und im deutschen Dorf Gärtringen

Von Filiz Müller-Lenhartz

Ich möchte mich heute mit Ihnen an meine Kindheit erinnern. Ich wurde in der Industriestadt Eskisehir in Mittelanatolien geboren. Bis zu meinem zehnten Lebensjahr lebte ich dort. Heute weiß ich, dass die meisten Einwohner Eskisehirs Tataren, Tscherkesen und Zuwanderer aus dem Balkan waren. Auch meine Vorfahren waren Zugezogene aus Bulgarien, Rumänien und Tataren aus der Krim. Und sogar einer aus dem Jemen. Diese Mischung lässt sich auch heute schwer leugnen: Mich kennen Sie ja schon. Meine Schwester ist eher eine Blondine, meine Nichte gleicht einer Mullatin.

Heute schätze ich das als mein Glück, dass ich ein Teil meiner Kindheit bei meinen Großeltern verbracht habe, als meine Eltern 1965 angeworben wurden und nach Deutschland gingen. Bis sie uns nachholen konnten, wurden wir den Großeltern anvertraut, die zwar nicht streng religiös aber gläubige Menschen waren. Sie beteten fünf Mal am Tag zu Hause. Wir Kinder sollten ihnen nach den rituellen Waschungen vor dem Gebet die Handtücher reichen. Manchmal saßen wir auch neben ihnen und ahmten alles nach.

Auch meine Erinnerungen an Ramadan hängen sehr viel mit meinen Großeltern zusammen. Im Fastenmonat wird ja vom Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang nicht gegessen und nicht getrunken. Deshalb steht man vor dem Sonnenaufgang auf, um noch Mal zu essen. Immer wenn ich an Ramadan denke, erinnere mich an den Trommelklang in der Nacht. Uns Kindern war der Trommler ganz und gar unheimlich, der mitten in der Nacht durch die Straßen lief und alle wach trommelte, damit wir den Sonnenaufgang nicht verschliefen. Der Trommelklang kam Mal von der Ferne, Mal von ganz nahem. Aber den Trommler konnte man in der Dunkelheit oft nicht sehen.

Wir standen mit den Erwachsenen auf und setzten uns mit an den Tisch. Fasten mussten wir als Kinder nicht. Das hinderte uns aber nicht daran, jede Nacht mit ihnen zu essen, und so wie sie das taten, mit einem Gebet uns vorzunehmen, am nächsten Tag zu fasten. Das hielt natürlich nur einige Stunden und dann brachen wir es ab und nahmen uns vor, am nächsten Tag wirklich zu fasten.

Erst als ich neun oder zehn war, sollte ich ein Tag lang wirklich fasten und zwar am letzten Fastentag, sozusagen am Tag vor dem Fest. Es war sehr aufregend. Um uns den Tag zu verkürzen, erzählte uns der Großvater Geschichten, lobte uns für das Durchhalten und betonte, was für eine gute Tat das wäre. Wir hingen den ganzen Tag im Garten herum und warteten.

Und so gegen Sonnenuntergang, was das Ende des Fastens bedeutete, wuchs die Aufregung. Wir schnappten uns eine Olive, standen mit der Olive in der Hand auf der Straße und schauten auf das Minarett der Moschee. Denn erst bei Sonnenuntergang gingen die Lichter am Minarett an, als Zeichen zum Fastenbruch. Mein Opa stand vor der Tür und wartete auf uns. Wir rannten zu ihm, führten die Olive in den Mund und eilten zum gedeckten Tisch. Oft waren auch Nachbarn, Freunde und Verwandte dabei.

Dann kam endlich das Ramadan-Fest, was wir Zuckerfest nennen. Drei bis vier Tage lang war Besuch und Besuchen angesagt. Dabei ist die Regel, dass die Jüngeren die Älteren besuchen. Für uns Kinder gab es sehr viele Süßigkeiten und auch reichlich Taschengeld.

Irgendwann war es so weit. Die Eltern hatten eine geeignete Wohnung gefunden und holten uns vier Töchter nach Gärtringen, in ein kleines Dorf im Schwarzwald, mit ca. 5.000 Einwohnern. Wir waren einer der ersten türkischen Familien im Dorf. Und ich, als älteste Tochter, war gerade erst 11 geworden. Ich kann mich nicht mehr an unseren ersten Ramadan in Gärtringen erinnern. Wohl aber an die fehlende Stimmung bei den Festen. Irgendwie fehlte vieles. Die ganze Aufregung, die Verwandten, die Großeltern, die Lichter der Minarette, die angingen, wenn man wieder essen durfte. Und meine Eltern fasteten ja gar nicht!

Wir feierten trotzdem. In der nächsten Kleinstadt gab es so was wie eine Moschee. Beim ersten Festtag nach Ramadan mussten wir früh aufstehen. Mein Vater ging in der Frühe zum Gebet in die Moschee. Als er zurückkam, waren wir schön angezogen und gaben ihm und meiner Mutter Handkuss und gratulierten zum Fest. Dann wurde gefrühstückt und gegen Mittag besuchten wir ältere Bekannte der Familie. Die Jüngeren besuchten dafür am zweiten Tag meine Eltern.

Das Ende des Ramadans ist auch für nicht religiöse Menschen in der Türkei ein traditionelles und wichtiges Fest. Aber in Gärtringen blieb davon nicht viel übrig. Die Eltern arbeiteten, wir Kinder mussten in die Schule. Zwar gaben sich meine Eltern immer Mühe, aber so ein richtiges Fest wie wir es kannten wurde nie daraus.
Dafür lernten wir Kinder langsam Weihnachten kennen. Das Schmucke hatte seinen Reiz. Als Kinder fiel uns auf, dass alle unsere Nachbarn irgendwas groß feierten, wir aber nicht. Nach ein paar Jahren gaben meine Eltern nach und kauften im Dezember einen Tannenbaum. Wir schmückten es bunt mit Weihnachtssternen, Kugeln und Lametta. Die Aufregung war zwar nicht dieselbe, aber wir hatten wieder ein Fest.

Heute, nach 36 Jahren in Deutschland, muss ich schmunzeln, wenn ich in dem Haus in Kreuzberg, wo ich nun wohne, all die bunten, blinkenden Lichter in den Fenstern sehe, die schon vor Wochen Weihnachten ankündigen. Es sind ausschließlich Fenster türkischer Familien mit Kindern.

Fastenbrechen nach dem Ramadan
Fotos von Metin Yilmaz
Als Jude im muslimischen Umfeld der atheistischen Sowjetunion
Wie ich Chanukka entdeckt habe

Zum Weiterlesen:
Juden und Muslime: Der Mythos einer interreligiösen Utopie

von Mark R. Cohen
Von Berlin nach Baku
von Igor Chalmiev

Begegnungen zwischen Ramadan und Chanukka (Startseite)
Jüdischer Kulturverein Berlin
Jüdisches Leben in Berlin (Startseite)

hagalil.com 16-12-03


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