Kommunikation und Öffentlichkeit:
Angekratztes Image
Die Mitgliederbefragung der Jüdischen
Gemeinde zu Berlin
Von Judith Kessler
Die Umfrage sollte auch Details der
in- und externen Kommunikation sowie der Selbst- und Außenwahrnehmung der
Gemeinde bzw. ihrer Mitglieder erfassen.
Öffentlichkeit. Die Mitglieder sollten
die Präsenz der Jüdischen Gemeinschaft in der Öffentlichkeit einschätzen. 36
% finden, sie sei "ausreichend" präsent. Diese Ansicht vertreten vor allem
Frauen, Einheimische und Mitglieder mittleren Alters. 43 % (besonders junge
Leute) finden, die Gemeinde melde sich "zu selten" zu Wort, 4 % meinen
dagegen, sie melde sich "zu oft". Die Kommentare zu diesem Thema haben fast
alle den Tenor, die Gemeinde solle sich öffentlich "stärker, häufiger,
qualifizierter, lauter, mehr, schärfer, klüger, selbstbewusster…" äußern.
Vor allem müsse sie Israel ("Peinlich, dass wir nicht eine einzige
Pro-Israel Demo organisiert haben") und andere Minoritäten unterstützen,
sowie zum Antisemitismus Stellung nehmen.
Das Bild der Jüdischen Gemeinde in der
Öffentlichkeit halten 13 % der Befragten für "ausgewogen".
12 % glauben, die Gemeinde würde
"wohlwollend" betrachtet, 4 % empfinden ihr Bild "übertrieben positiv"
dargestellt. Ein knappes Drittel (32 %) glaubt das Gegenteil: die Gemeinde
habe ein "eher negatives" Bild und weitere 18 % meinen sogar, sie wäre in
der Öffentlichkeit "nur bei negativen Schlagzeilen präsent". Die Hälfte
aller – besonders junge sowie hierzulande und in Drittländern geborene
Mitglieder – sind also der Ansicht, die Gemeinde habe ein negatives
öffentliches Bild. Die Gründe dafür werden aber auch intern gesucht: "das
oberpeinliche Babel-TV", das "Waschen schmutziger Wäsche" oder das Herzeigen
von "Finanzskandalen" seien "äußerst schädlich" für das Gemeinde-Image.
Information. "Ausreichend (gut,
ausgewogen) informiert" über Gemeindegeschehnisse" fühlen sich über ein
Viertel der Befragten (26 %). 15 % meinen "zu einseitig" und immerhin 42 %
"zu wenig" informiert zu sein, vor allem Ältere und aus der Sowjetunion
Stammende. Andererseits waren genauso viele, nämlich 42 % aller Befragten
(vor allem GUS-Zuwanderer und Jüngere) noch nie bei einer
Gemeindeversammlung, um sich selbst zu informieren.
Das Mitgliedermagazin "jüdisches
berlin", als "Info-Output" der Gemeinde gefällt 45 % der Befragten "gut", 40
% finden es "mittelmäßig", 7 % "schlecht". Bei Jüngeren, Frauen und
Einheimischen kommt es deutlich besser an als bei Älteren, Männern und
GUS-Zuwanderern. "Totalverrisse" wie "ist primitiv; alles ist schlecht; man
muss alles ganz anders machen" stammen ausschließlich von russischsprachigen
Lesern, ohne dass die Mängel konkret benannt würden. Von Deutschsprachigen
werden vor allem die Aktivitätenseiten als "journalistisch
entwicklungsbedürftig" und die Integrationsseiten als "sozialistische
Parteitagslyrik" disqualifiziert. Außerdem sollte "egomanen Machtkämpfen"
von Repräsentanten kein Platz eingeräumt werden und "mehr Sachlichkeit"
herrschen. Eindeutige Präferenzen, worüber die Mitglieder gern mehr lesen
würden, sind nicht erkennbar. Im Durchschnitt will man "von allem mehr",
besonders von Berlin bezogenem, Gemeinde-Interna, Kultur, Israel,
Gesellschaft. Außerdem werden verstärkt Jugend- und interkulturelle Themen
nachgefragt sowie "Vermischtes" (Essen, Quiz, Heiratsmarkt, Geschichten,
Memoiren, Humor, Sport, Gesundheit). 16 % der Befragten wollen mehr, 27 %
weniger Russisch im "jb". Der Sprachstreit beherrscht auch die Kommentare:
Israelis monieren: "weder bei Veranstaltungen noch im jb kommt Iwrit vor".
Andere verwirrt der gemischt deutsch-russische Druck; sie wünschen sich eine
einsprachige, "wahlweise deutsche oder russische", Zeitung oder finden es
"an der Zeit und integrationsförderlich, nur noch Deutsch" zu erscheinen.
Andere wollen "alles in Russisch" haben und die Mehrkosten durch "dünneres
Papier" decken.
Sicherheit. Weit über die Hälfte (56 %)
der Befragten fühlen sich in den jüdischen Einrichtungen "gut beschützt" –
Frauen mehr als Männer und Junge mehr als Alte. "Unzureichend" geschützt
fühlen sich 13 % – in erster Line GUS-Zuwanderer. "Übertrieben" beschützt
sehen sich fast genauso viele Befragte (12 %), vor allem junge Mitglieder,
in Drittländern Geborene und Einheimische. Zusammengenommen fühlen sich
Mitglieder aus der Ex-Sowjetunion sehr viel weniger sicher und geschützt als
andere.
10 % der Befragten lassen sich durch
"Sicherheitsmaßnahmen bzw. die Präsenz der Sicherheitskräfte vom Besuch der
Gemeindeeinrichtungen abschrecken", überwiegend GUS-Zuwanderer und
(erstaunlicher Weise) junge Leute. 61 % lassen sich hingegen nicht
abschrecken und 22 % sagen sogar: "im Gegenteil – gerade weil die Sicherheit
da ist, besuchen wir die Einrichtungen" – dieser Ansicht sind besonders
viele in Drittländern Geborene, vor allem Israelis. Im Großen und Ganzen
liegt es wohl weniger an Sicherheits- und Kontrollfragen, wenn Leute der
Gemeinde fernbleiben, obwohl einige darauf hinweisen, dass sie "aus Angst
vor terroristischen Akten" jüdische Veranstaltungen neuerdings meiden.
Verkehrskreise. 43 % der Befragten
kennen persönlich 11 bis 50 Gemeindemitglieder. 27 % kennen sogar über 50
andere Mitglieder. 10 % kennen bis zu fünf und 16 % bis zu zehn andere
Mitglieder. 1 % kennen gar niemanden und 2 % antworten nicht. Unter denen,
die viele Mitglieder kennen, sind vor allem Leute mittleren Alters und
solche aus "Drittländern". Die GUS-Zuwanderer haben im Schnitt etwas weniger
Bekannte als die andernorts geborenen und Frauen etwas weniger als Männer.
Diejenigen mit den meisten Bekannten in
der Gemeinde sind im Durchschnitt auch die, die ihre Freizeit mehr mit
jüdischen als mit nichtjüdischen Freunden verbringen. Umgekehrt sind die
Befragten mit den wenigsten Gemeindebeziehungen auch die, die überwiegend
mit Nichtjuden zusammen sind. Insgesamt verbringen gut die Hälfte der
Befragten ihre Freizeit "mit Juden und Nichtjuden gleichermaßen". Knapp ein
Drittel (mehr Männer als Frauen) verbringt sie überwiegend mit jüdischen und
10 % mit nichtjüdischen Freunden. Die 30- bis 60jährigen sind diejenigen,
die am integriertesten in beiden "Systemen" scheinen: 60 % von ihnen
verbringen ihre Freizeit mit Juden und Nichtjuden, bei den unter 30jährigen
sind es nur 37 %, bei den über 60jährigen 46 %. Junge und Alte sind dafür
viel mehr als die mittlere Generation meist mit Juden zusammen. Es gibt aber
einen anderen Teil der jungen Generation (15 %), der in erster Linie mit
Nichtjuden zusammen ist. Vor allem GUS-Zuwanderer verbringen ihre Freizeit
vorwiegend mit Juden (44 % zu 23 % der Einheimischen und 27 % der aus
Drittländern), wobei wohl weniger das Jüdischsein eine Rolle spielt, als der
Umstand, dass es sich bei den Freunden meist ebenfalls um Migranten und
Landsleute handelt. Die GUS-Zuwanderer haben so auch den wenigsten Kontakt
mit Nichtjuden (6 %), wobei dies wieder eher damit zu tun haben dürfte, dass
diese "Nichtjuden" an erster Stelle Deutschsprachige und Einheimische sind.
Mitglieder – Mitarbeiter. Etliche
Befragte weisen zu Recht darauf hin, dass das Verhalten der
Gemeindemitarbeiter nicht generalisierbar und von Abteilung zu Abteilung,
von Mitarbeiter zu Mitarbeiter verschieden ist. Dennoch gibt es Trends: 16 %
der Befragten empfinden die Gemeindemitarbeiter als "unfreundlich", doppelt
so viele finden sie wiederum "freundlich" – am häufigsten in Deutschland
geborene und ältere Mitglieder. Nur 2 % halten die Gemeindemitarbeiter für
"unbürokratisch", 22 % halten sie im Gegenteil für "bürokratisch", und zwar
überwiegend GUS-Zuwanderer. 5 % der Befragten finden die Mitarbeiter
"ablehnend" und 15 % finden sie "hilfsbereit". 18 % der Befragten halten das
Verhalten der Gemeindeangestellten für "arrogant" – hauptsächlich Jüngere
sowie in der UdSSR und in Drittländern Geborene. "Kompetent" finden 9 % die
Mitarbeiter, und 11 % finden sie "inkompetent" (vor allem Junge – 22 %!).
Nimmt man alle Parameter zusammen, überwiegen die negativen, wobei die
Mitarbeiter von den GUS-Zuwanderern um etliches schlechter beurteilt werden
als von den Einheimischen (die Werte der in "Drittländern" Geborenen liegen
dazwischen). Während die Einheimischen allgemein vor allem Unfreundlichkeit
bemängeln sowie fehlende Qualifikationen und Deutschkenntnisse, beklagen die
"Russen" vor allem Arroganz und Bürokratie. Zum Verhalten der Mitarbeiter
und Repräsentanten gab es auch die meisten negativen Zusatzkommentare: Dort
ist von "Frechheit, Überheblichkeit, Hochnäsigkeit" der Mitarbeiter die Rede
– die Mitglieder fühlten sich "wie Aussätzige" behandelt. Allerdings werfen
sich "Deutsche", "Israelis" und "Russen" gegenseitig genau die gleichen
Dinge vor, auch wenn quantitativ die meiste Kritik von Russischsprachigen
kommt. Da deutlich mehr als die Hälfte der Gemeindemitarbeiter inzwischen
aus dem GUS-Zuwandererkreis stammt, dürfte sie sich jedoch eigentlich nicht
auf Nationalitäten ("Russen"/"Nichtrussen") beziehen, sondern bestenfalls
auf "Langansässige" und "Zuletztgekommene". An die Adresse der
Repräsentanten und des Vorstandes gehen eben so viele Kommentare. Ihnen
werden "ewige Pöbeleien und Streitereien um spießigen Kleinkram" sowie
"Vetternwirtschaft" oder "Konservativismus" angelastet, die "zugunsten
konstruktiver Arbeit" zum "Wohle der Gemeinde" aufzugeben seien.
Mitgliedsgründe. Wir wollten auch
wissen, warum jemand (bei soviel Kritik) überhaupt Gemeindemitglied ist. Die
am häufigsten – vor allem von Älteren – gewählte Antwort (66 %) lautet "weil
es für mich als Jude/in selbstverständlich ist". An zweiter Stelle lagen mit
je 31 % die Antworten "weil ich meine Zugehörigkeit demonstrieren will" und
"weil ich jüdisch beerdigt werden möchte". Die Zugehörigkeit zu zeigen
finden überwiegend Männer und Einheimische wichtig, jüdisch beerdigt zu
werden ist für Männer und Frauen sowie in Deutschland und der UdSSR Geborene
gleichermaßen relevant, am wichtigsten jedoch für die älteren Mitglieder.
Mit 22 % am nächst häufigsten wurde angekreuzt "weil ich mich sicherer
fühle" – dies zuallererst von Älteren und in der Sowjetunion geborenen.
Gleich darauf (mit 21 %) folgt: "weil meine Eltern mich bei der Geburt
angemeldet haben" – er betrifft in erster Linie Junge sowie in Deutschland
Geborene. Junge, einheimische sowie in Drittländern geborene Mitglieder sind
es auch, die am häufigsten Religiosität als Mitgliedsgrund angeben
(insgesamt 17 %). An vorletzter Stelle kommt mit 15 % "weil meine
Verwandten/ Bekannten auch Mitglied sind" – diese "Sogwirkung" tritt am
wenigsten bei Einheimischen und mit Abstand am häufigsten bei
GUS-Zuwanderern (26 %) auf. Als letztes nennen 11 % (hauptsächlich Männer,
Ältere und GUS-Zuwanderer): "weil ich mir Hilfe erhoffe". Handschriftlich
ergänzt wurden darüber hinaus meist pragmatische Gründe: "…weil mein Kind in
die jüdische Schule gehen soll, weil ich Mitarbeiter bin, weil ich in anders
nicht in Deutschland bleiben konnte". Einige meinten aber auch: "weil es
nach der Schoa gar nicht anders geht" oder "weil man nach dem Holocaust
nicht austreten kann".
Für weitere Details der Studie
kontaktieren Sie bitte:
Judith Kessler
M.A.
jb@jg-berlin.org
hagalil.com
08-05-03
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