Es geht uns alle an:
Schlafende Gesellschaft
Al-Quds-Gegendemo und Tagung "Feindbild Islam" schwach besucht...
Von Gudrun Wilhelmy
Das Bündnis vieler Initiativen und Einzelpersonen
hat sein Ziel nicht erreicht. Trotz einer hervorragenden Pressekonferenz und
einer gemeinsam organisierten bemerkenswerten Tagung zum Thema "Feindbild
Westen", war die Demonstration gegen die alljährlich einmal stattfindende
Al-Quds-Demonstration am 13. November mitten durch den Westteil Berlins nicht
gut besucht. Viele jüdische und nicht-jüdische Menschen, Menschen aus dem Iran
und aus der Türkei bekundeten gemeinsam ihren Widerstand gegen die von
Islamisten verbreiteten und vertretenen Ziele, als einen Angriff auf universelle
Menschenrechte, eine freiheitliche Demokratie und die damit vertretenen Werte.
Die Tagung fand eine Woche vor der Demonstration statt und neben Prof. Menashri
aus Israel und Dr. Wahied-Hagh von Memri (Middle East Meadia Research Institut)
sprachen sich alle gegen die Ziele des Islamismus aus. Einig war man sich nicht
nur in der Bezeichnung, sondern auch darüber, das dieser aus dem Iran kommende
politische Islam mehr mit der Festigung und Ausbreitung einer diktatorischen
Ideologie zu tun hat, als mit einer Religion oder gar gleich einer ganzen
Kultur.
Hatten die Ayatollahs 1979 nicht nur mit dieser sich weltweit
ausbreitenden Demonstration bis ins schwarze Afrika hinein damit zur Vernichtung
des Staates Israel aufgerufen? Haben sich die Parolen inzwischen gewandelt bis
hin zu den Parolen "Tod den Juden" und ihren antisemitischen Charakter offen
entlarvt? Dieser Ruf ist nicht nur in Berlin, sondern überall inakzeptabel und
es ist nur ein Ruf von vielen. Es geht ebenso lautstark und schleichend gegen in
der deutschen Verfassung verbriefte Rechte der Gleichberechtigung von Mann und
Frau, der Glaubensfreiheit und den hart erkämpften Rechten von Homosexuellen.
Dies alles sind nur einige wenige Aspekte einer Gesellschaft, die von vielen
muslimischen Migranten als verrucht bezeichnet wird und in der sie andererseits
freiwillig bereits in der dritten Generation leben.
So stand und steht
für die meisten Tagungs- und Demonstrationsteilnehmer bei weitem nicht der
Nahost-Konflikt im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, sondern die Angriffe und
Unterhöhlungen der hier herrschenden Demokratie und verfassungsgeschützten
Rechte weiter Teile der Bevölkerung und damit ist nicht nur die deutsche
Bevölkerung gemeint.
Auf der Tagung sprach man auch davon, dass hier in
Deutschland bisher wenig passiert sei (an Terrorakten) und dies damit
zusammenhängen könne, dass hier die so genannten schlafenden Terroristen-Zellen
längst in die Gesellschaft integriert sind. Denn häufig handelt es sich bei
ihren Mitgliedern um Studenten oder Akademiker, die hier arbeiten und leben und
nicht um jene Gruppen sozial ausgegrenzter Jugendlicher ohne ausreichende Schul-
oder Berufsausbildung. Es wurde auch die Frage gestellt, ob diese Integration
nicht auf einem gemeinsamen Nenner zurückzuführen sei: Antisemitismus.
Andererseits muss man nach dieser Gegendemonstration feststellen, dass hier vor
allem die deutsche Gesellschaft als schlafende bezeichnet werden muß und alle
die sich dieser zugehörig fühlen und ihre Rechte und Freiheit zu schätzen
wissen. Hier hätten, ähnlich wie bei der Demonstration nach dem Anschlag auf das
World-Trade-Zentrum, tausende und tausende Protestierende stehen müssen.
Auch wenn den meisten Deutschen nicht daran liegt, Nationales besonders hoch zu
schätzen, so kann doch ein Stolz auf die Verfassung und eine bewusste
Verteidigung derselben für den Kampf gegen demokratiefeindliche Angriffe
notwendig und sinnvoll sein. So sahen es vor allem diejenigen Frauen mit
Migranten-Hintergrund auf der Fachtagung: "Kampf der Kulturen" oder "Leben in
Vielfalt"? veranstaltet vom Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf, der
Volkshochschule City West, der Migrantenbeauftragten und vielen Bündnissen für
Beratung und gegen Extremismus und Gewalt.
So war es besonders
erschütternd zu sehen, mit welchem Schmerz eine nicht mehr ganz junge Iranerin
auf die vorbeiziehenden Al-Quds-Demonstranten fassungslos starrte ohne weinen zu
können. Nach langen Minuten entriss sie einem Umstehenden eine iranische Fahne
und schrie ihren Prostest allein und sich dessen gar nicht gewahr werdend in den
vorbeiziehenden Männerblock. In diesem hielten sich etliche "Männer" auf von 9
bis 13 Jahren.
Ein Bündnis der vielen Bündnisse sollte es im nächsten
Jahr schaffen, eine große Menge von Menschen auf die Straße zum Protest zu
bewegen. Es geht uns alle an, die wir hier leben, als Ureinwohner, wie ein
Teilnehmer auf der Tagung gegen den Al-Quds-Tag formulierte ebenso wie für die
vielen politischen Flüchtlinge, die sich plötzlich denjenigen wieder gegenüber
stehend sehen, vor denen sie einst flohen.
Denn auch wenn die Al-Quds-
Demonstration eine schweigende war, in Gesprächen mit den Teilnehmern war eine
antisemitische Einstellung überdeutlich, wie Journalistinnen und Journalisten
nicht müde wurden immer wieder zu betonen. An den Gegendemonstranten vorbei
liefen schätzungsweise Tausend Menschen, für die Steinigung und eingesperrte
Frauen so selbstverständlich sind, wie für uns Freiheit der Meinungsäußerung und
des religiösen Bekenntnisses. Es geht nicht um Ehre, eine geschickt eröffnete
Scheindebatte, sondern um die Macht über andere: Frauen, Kinder und
Andersdenkende. Wer genau hinhört, kann es nicht überhören.
al /
hagalil.com / 2004-11-16
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