Streit in der Jüdischen Gemeinde - wer mag unter
dieser Überschrift überhaupt noch etwas lesen? Seit Jahren kommt die mit etwa
12.000 Mitgliedern größte jüdische Gemeinde der Bundesrepublik nicht aus solchen
Schlagzeilen heraus, und auch jetzt gibt es wieder einen öffentlich
ausgetragenen Streit: Der Bevollmächtigte für Kultusfragen, Benno Bleiberg, ist
als Vizevorstandsmitglied zurückgetreten, aus Protest gegen ein Vorgehen seines
Vorstandskollegen, des Personalchefs Arkadi Schneidermann. Im April hatte der
Historiker Julius Schoeps ebenfalls aus Protest sein Amt als Vizechef der
Gemeinde zur Verfügung gestellt. Warum dieser Streit?
Dazu eine Gegenfrage: Warum soll es keinen Streit
geben? In jedem Kaninchenzüchterverein gibt es Angegifte, im Erzbistum kocht es
seit Jahren schon, wenn auch nicht so öffentlich - warum soll es in der
Jüdischen Gemeinde anders sein? Und natürlich ist auch an dem Einwand etwas
dran, dass die häufige Berichterstattung über solche Streitereien zumindest
latent vorhandene antisemitische Klischees von angeblich "zänkischen Juden"
bedient. Ist Streit in der Jüdischen Gemeinde vielleicht deshalb für die
Öffentlichkeit so interessant, weil diese Nachricht verborgene antisemitische
Vorurteile zum Klingen bringt?
Jahrelang hatten die internen Reibereien und
öffentlichen Anschuldigungen in der Jüdischen Gemeinde eine gewisse Logik, da im
Gemeindeparlament, der Repräsentantenversammlung (RV), kaum eine Mehrheit für
den jeweiligen Vorsitzenden vorhanden war. So kam es zu Dauerblockaden in der
Gemeindeführung, Streit war programmiert.
Das aber müsste sich eigentlich seit den letzten
(Wiederholungs-)Wahlen im November 2003 verändert haben: Damals errang die
Gruppe "Kadima" unter der Führung des Rechtsanwalts Albert Meyer 20 von 21
Sitzen - eine 95-Prozent-Mehrheit in der RV. Meyer wurde Anfang des Jahres zum
Gemeindechef gewählt. Es gab viele Posten zu verteilen - warum gibt es dennoch
wieder Streit, den manche sogar für gravierender halten als in den Jahren
knapper Mehrheiten?
Immer wieder hört man Mitglieder der Jüdischen
Gemeinde selbst darüber Witze machen, dass Streit eben dazu gehöre - nach dem
Motto: "Zwei Juden, drei Meinungen". Das aber kann es nicht sein, unterstellte
es doch eine angebliche Disposition von Juden für Streit. Und es erklärte auch
nicht, warum die Auseinandersetzungen immer wieder ins Persönliche gehen.
Ein Beispiel waren die öffentlichen Ausfälle
Schneidermanns gegen Bleiberg in der RV-Sitzung am Mittwochabend. Schneidermann
sprach in kaum gezügelter Kriegsrhetorik davon, Bleiberg habe einen "feindlichen
Angriff" gegen "Kadima" gestartet, sein Vorgehen gleiche "Taten eines
Amokläufers".
Der Angegriffene, ein Jurist, hatte Schneidermann
vorgeworfen, er habe sich rechtswidrig Akten der Kultusverwaltung vorlegen
lassen, um eine Angestellte der Gemeinde unter Druck zu setzen: Wenn sie sich
nicht versetzen lasse, so die angebliche Drohung, würde gemeindeintern lanciert,
dass sie sich ihre Mitgliedschaft in der Gemeinde erschlichen habe. Sie sei gar
keine Jüdin. Bleiberg hatte daraufhin den Rücktritt Schneidermanns gefordert.
Aber dieser hässliche Streit ist nur ein Symbol -
die Frage bleibt: Warum dieses Dauergerangel?
Eine Erklärung könnte sein, dass die Gemeinde
aufgrund ihrer auch öffentlichen Aufgaben, etwa dem Betreiben von Schulen und
eines Krankenhauses, einfach zu viel Geld zu verwalten hat - ein guter Nährboden
für Streit, seit Alters her und überall. Eine weitere Ursache für den
Dauerstreit könnte darin liegen, dass die Jüdische Gemeinde ständig und
teilweise bis ins Detail unter öffentlicher Beobachtung steht. Auf die meisten
vergleichbaren Institutionen schaut man nicht mit solcher Intensität. Interner
Streit kann so besser unter der Decke gehalten werden. Außerdem verleitet das
Scheinwerferlicht der Aufmerksamkeit allzu viele Repräsentanten dazu, sich über
Nichtigkeiten aufzuspielen. Die RV-Sitzungen waren in den vergangenen Jahren für
die Repräsentanten und Zuhörer schlicht eine Qual.
Hinzu kommt, dass die Repräsentanten der Gemeinde
ganz unterschiedlicher sozialer und ethnischer Herkunft sind. Vielleicht liegt
ein Grund für den Dauerstreit aber auch darin, dass es ihr nach dem Aderlass des
Holocaust an einem breiten Führungsreservoir intellektueller Klasse mangelt, wie
ein New Yorker Jüdin einmal mutmaßte. Die Schlagzeile "Streit in der Jüdischen
Gemeinde" werden die Zeitungen auch deshalb wohl noch lange drucken müssen.
Zum Weiterlesen:
Schlüssellochjournalismus im Medienkarussell
taz
v. 25.06.2004
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