Meine einzige Wirklichkeit:
Retrospektive der Malerin Lotte Laserstein (1898-1993)
Sie wurde als "leuchtendes Talent" gerühmt, als "eine der
tüchtigsten jungen Malerinnen" gefeiert und zählte "mit Recht zu den allerbesten
der jungen Maler-Generation" – "Lotte Laserstein, die große Könnerin"...
Von Anna-Carola Krausse
Heute ist der Name der 1898 geborenen Künstlerin,
die als eine der ersten Frauen 1927 ihr Studium an der Berliner Kunstakademie
mit Auszeichnung beendete, kaum noch bekannt. Der "glanzvolle Aufstieg", den man
der jungen Malerin Ende der Zwanziger Jahre im Berliner Tageblatt prophezeite,
scheiterte wenig später an den politischen Bedingungen: Durch die
nationalsozialistische Rassenideologie wurde Lotte Laserstein zur sogenannten
Dreivierteljüdin erklärt und in der Folge aus dem öffentlichen Kunstleben
ausgeschlossen. Angesichts der immer schwerer werdenden Lebens- und
Arbeitsbedingungen sah sich die Malerin 1937 zur Emigration gezwungen. Sie
flüchtete nach Schweden, wo sie sich als Portraitistin eine neue Existenz
aufbauen konnte. Unter den materiell und psychisch belastenden Bedingungen des
Exils war es ihr letztlich jedoch nicht möglich, in gleicher Intensität und
Qualität mit der Arbeit fortzufahren.
Nach Deutschland kehrte Lotte Laserstein "aus
Abneigung" nicht zurück. Zu viele schreckliche Erinnerungen verbanden sich für
sie mit dem Land: Ihre Mutter war im KZ Ravensbrück ums Leben gekommen, ihre
Schwester Käte hatte Krieg und Verfolgung unter traumatisierenden Bedingungen in
einem Berliner Versteck überlebt.
Die in den wenigen Jahren des freien
Arbeitens zwischen 1925 und 1933 in Berlin enstandenen Bilder stellen aus
heutiger Sicht den Höhepunkt des umfangreichen Œuvres dar, das die Malerin, die
1993 im Alter von 94 Jahren im südschwedischen Kalmar starb, hinterlassen hat.
Diese Berliner Bilder stehen im Zentrum der Lotte-Laserstein-Retrospektive.
Mit Lotte Laserstein gilt es eine herausragende Künstlerin der späten Weimarer
Republik zu entdecken. Virtuos verbindet die Malerin ihr akademisches Erbe mit
der zeitgenössischen Motivik des modernen Großstadtlebens. Sie malt
Caféhaus-Szenen, sportive Frauen (Tennisspielerin, 1929) oder einen jungen
Motorradfahrer in voller Montur (Am Motorrad, 1929), portraitiert fremdländische
Gesichter, die ihr in den Straßen des kosmopolitischen Berlins begegnen
(Mongole, 1927) und befragt in ihren Selbstbildnis-sen und Portraits der
Freundin Traute Rose im-mer wieder das zeitgenössische Bild der modernen Neuen
Frau. Vor allem der Zusammenarbeit mit der Freundin, dem erklärten
"Lieblingsmodell" der Malerin, verdanken sich einige der besten Werke
Lasersteins, darunter eine Reihe subtil komponierter
Malerin-Modell-Darstellungen wie zum Beispiel das programmatische Selbstbildnis
bei der Arbeit In meinem Atelier aus dem Jahr 1928.
In ihrer
unsentimentalen Auffassung wie auch der thematischen Ausrichtung ste-hen die
Bilder Lotte Lasersteins der Neuen Sachlichkeit nahe – und doch wollen sie nicht
recht in diese kunsthistorische Schublade passen. Ihnen fehlt sowohl die
unterkühlte Glätte und bissige Schärfe wie auch die gesellschaftskritische,
sezierende Beobachtung, die der neusachlichen Malerei zu eigen ist. Lotte
Laserstein überzeichnet und karikiert nicht, sie sucht nicht das Verruchte und
Exotische, sondern gestaltet ihren durchaus sachlich-nüchternen Blick auf die
alltägliche Welt in einer die Stofflichkeit betonenden, beherrscht-sinnlichen
Malerei. Ihre Sachlichkeit heißt Mimesis. Gerade die unzweifelhafte Beherrschung
des malerischen Handwerks ist der Malerin pro-bates Mittel, ihre Ebenbürtigkeit
und Professionalität als Künstlerin unter Beweis zu stellen.
Eine Scheu vor der von der Avantgarde
attackierten Kunst der Väter hat Lotte Laserstein nicht. Im Gegenteil:
Spielerisch bedient sie sich im reichen iko-nographischen Fundus der
Kunstgeschichte, zitiert, macht Anspie-lungen, variiert. Ebenso souverän greift
sie parallel dazu auf die populäre Ästhetik aktu-eller Bildwelten zurück. In
ihren Gemälden adaptiert sie die Formensprache der zeitgenössischen Fotografie,
der mondänen Illustrierten oder der Reklame. Das intensive Frontal-Portrait
Mongole (1927) beispielsweise läßt unmittelbar an das close-up der Fotografie
der Zwanziger Jahre denken. Gleichwohl ist Laserstein keineswegs daran gelegen,
dem modernen Medium nachzueifern oder es gar malerisch zu imitieren. Ihre
schonungslos observierten Gesichter entfalten vielmehr aufgrund ihrer delikaten
peinture eine sinnliche Präsenz, die ihnen jene Aura verleiht, die Walter
Benjamin angesichts der technischen Reproduktionsmöglichkeiten zunehmend aus der
Kunst schwinden sah.
Weit entfernt vom Eklektizismus und Epigonentum
jener konservativen Tendenzen, die gegen Ende der Weimarer Republik der
allenthalben konstatierten Entseelung des modernen Menschen mit historisierender
Betulichkeit und biederem Konventionalismus begegneten, lebt Lotte Lasersteins
Realismus von der gelungenen Aktualisierung der Tradition. In ihren subtil
konstruierten Kompositionen überführt die Malerin ikonographische Bildformeln zu
modernen, auf die eigene Zeit bezogene Aussagen und schafft in dieser Synthese
Bilder von bestechender Zeitgenossenschaft und überzeitlicher Aktualität.
Lotte Lasersteins zwischen Distanz und Nähe,
Sachlichkeit und Sensibilität, Monumentalität und Intimität changierende
künstlerische Sprache führt über die Neue Sachlichkeit hinaus. Ihre Arbeiten
sind Reflexionen einer Zeit, die nach der Etablierung der klassischen
Avantgarde-Bewegungen von einer allgemeinen künstlerischen Verunsicherung und
der Suche nach neuen Orientierungspunkten gekennzeichnet war. Der unbehausten
Wirklichkeit, die die neusachlichen Malerinnen und Maler in ihren Werken
reproduzierten, setzt Laserstein die Faktizität des Kunstwerkes, die sinnliche
Wirkungsmacht der Malerei entgegen. Die Roaring Twenties sind hier ver-stummt.
Neusachliche Coolness ist einer ahnungsvollernsthaften Ruhe gewichen, die von
einer verhaltenen Melancholie durchzogen wird. Ton- und reglos sitzen fünf junge
Großstädter im Abend über Potsdam (1930) auf einem Dachgarten beieinander. Ein
unbestimmtes, unbestimmbares Warten beherrscht das kollektive Versunken-Sein,
die Stimmung bleibt diffus. Ist alles gesagt? Oder fehlen die Worte? Vor der
zeitpolitischen Folie erhält die Zusammenkunft in der Stunde des Übergangs von
Tag zu Nacht geradezu symbolhaft-visionären Charakter, ja kann als eine moderne
allegorie réelle der Gestimmtheit jener Generation gelesen werden, die man
später als die "verlorene" bezeichnen wird.
Die Retrospektive Meine
einzige Wirklichkeit, die das Verborgene Museum in Zusammenarbeit mit dem
Stadtmuseum Berlin vom 7. November 2003 bis 1. Februar 2004 im Museum
Ephraim-Palais veranstaltet, ist die erste Laserstein-Ausstellung in Deutschland
nach dem Zweiten Weltkrieg. Dem Ausstellungsvorhaben gingen langjährige
Recherchen voraus, galt es doch, ein über den ganzen Erdball verstreutes (und
teilweise verschollen geglaubtes) Werk aufzufinden und zusammenzutragen. Dank
großzügiger Leihgaben aus Schweden, Großbritannien, Deutschland, Norwegen,
Kanada und den USA kann das beeindruckende Œuvre Lotte Lasersteins nun mit
hochkarätigen Werken vorgestellt werden. Neben knapp 100 Gemälden und ungefähr
50 graphischen und druckgraphischen Arbeiten aus allen Schaffensperioden
illustrieren zahlreiche persönliche und zeitgeschichtliche Dokumente die
Persönlichkeit und den Werdegang Lotte Lasersteins, deren Biographie und
künstlerisches Schaffen in besonderem Maße von den großen politischen, sozialen
und kulturellen Umbrüchen, Krisen und Veränderungen des 20. Jahrhunderts
bestimmt war. Berlin als Ort der "Wieder-Entdeckung" Lasersteins zu wählen,
scheint nicht nur wegen der entstehungsgeschichtlichen Verbindung angezeigt. Es
ist zugleich eine Verbeugung vor der Künstlerin, daß sie gerade in der Stadt, in
der sie ihre bedeutendsten Bilder schuf und die sie 1937 gegen ihren Willen
verlassen mußte, die längst überfällige Würdigung und Ehrung erfährt.
7.
November 2003 bis 1. Februar 2004 Di - So 10.00 h - 18.00 h Museum Ephraim
Palais, Poststr. 16 (Mitte)
Die Autorin ist Kuratorin der
Lotte-Laserstein-Ausstellung Der Artikel erschien erstmals im Museumsjournal
4/2003
Jüdische Frauen in Berlin
Termine: Kulturveranstaltungen
Juden und jüdisches Leben in Berlin
IW /
hagalil.com / 2003-11-06
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