Rabbiner Chaim Rozwaski regte an, daraus ein
koscheres Lebensmittel- und Delikatessengeschäft, zu machen. Im Mai 2002 wurde
"Israel Deli" eröffnet. Viele alte Kunden kamen weiterhin gern ab morgens um
5.00 Uhr zum Frühstücken. Der Pott Kaffee kostete 80 Cent; nachgeschenkt wurde
umsonst.Mittags gab es verschiedene
Imbissangebote: Chickennuggets mit Pommes, Salate, belegte Brötchen,
Couscous-Varianten, Chumus, Techina und den gemischten Israel-Deli-Teller für
3,50 Euro. Auch der Imam der nahe gelegenen Moschee kam vorbei. "Die Leute sind
gern in meinen Imbiss gekommen" erzählt Herr T. Neben alter Stammkundschaft,
jüdischen Berlinern aus der ganzen Stadt, türkischen Muslimen und Christen
entdeckten auch Öko-Bewusste das Geschäft für sich. Es hätte eine Erfolgsstory
werden können.
Nach einigen Wochen kamen Angehörige der
Neonazi-Szene aus dem Berliner Umland. Sie waren erkennbar an den
OHV-Autokennzeichen (Oder-Havelkreis), stellten ihre Autos morgens kurz nach
5.00 h vor dem Laden ab und pöbelten, wobei "Judensau" noch zu den harmloseren
Ausdrücken gehörte. Ab dieser Zeit war es nicht mehr möglich, den Laden so früh
zu öffnen, denn Herr T. war in der ersten Stunde hauptsächlich im hinteren Teil
des Ladens mit den Frühstücksvorbereitungen beschäftigt und wollte den vorderen
Teil nicht mehr unbeaufsichtigt lassen. Nach einigen Wochen blieben die
Glatzköpfe weg.
Einige Zeit später begannen arabisch sprechende
Leute die Gäste zu beschimpfen und ins Essen sowie auf die Fensterscheiben zu
spucken und die Israelflagge abzubrechen. Herr T. konnte drei Gruppen
unterscheiden: einige 12jährige und einige junge Erwachsene. Eine dritte Gruppe
von Ende 30jährigen blieb gegenüber stehen und machte durch Gesten deutlich, daß
er unerwünscht sei und verschwinden solle. Wenn Herr T. morgens kam, waren die
Scheiben regelmäßig durch Spucke und häufig auch durch Urin verschmutzt. Kinder
von der nahe gelegenen Grundschule, die bei ihm einkauften und gelegentlich
einen Lutscher bekamen, ließen ihn wissen: "Du mußt aufpassen. Da sind arabische
Leute, die wollen Dir was Böses tun".
In der lokalen Presse wurde davon berichtet,
daß die Scheibe des Ladens eingeworfen worden war und auch, daß die Reifen
seines Autos zerstochen wurden. Da dies während des Besuches des israelischen
Staatspräsidenten Moshe Kazav geschah, wurde in der Medienberichterstattung ein
Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt hergestellt.
Hausbewohner äußerten Ängste, es könne ein
Molotowcocktail geworfen werden und zogen Vergleiche mit der Situation in
Israel. Nach und nach bröckelten Stammkunden ab. Auch Geschäftsinhaber, die
früher seine selbstgebackenen Brötchen gekauft hatten, stellten die
Geschäftsbeziehungen ein. Ein Zeitungsladen in der Nachbarschaft begann Kaffee
auszuschänken.
Polizeikräfte und Einsatzwagen waren meist in
zivil und daher nicht als solche erkennbar. Die Ermittlungen auf seine Anzeigen
wurden eingestellt, da die Faktenlage als nicht ausreichend eingeschätzt wurde.
Er solle sich melden, wenn er weitere erhellende Details zu Protokoll geben
könne. Von den belästigten Kunden hat niemand Anzeige erstattet.
Auch mit Schutzgelderpressung machte er
Erfahrungen. Ein hochgewachsener Deutscher mit elegantem Anzug und Krawatte
betrat den Laden und fragte mehrmals, um was für ein Geschäft es sich handle.
Der Inhaber antwortete jeweils "ein koscheres jüdisches Lebensmittelgeschäft".
Dann stellte der Fremde fest: "Ich bin Ihre Lebensversicherung". Auf Nachfrage
erfuhr der Inhaber dann: "Wenn Sie Ihr Geschäft weiterführen wollen, dann müssen
Sie aber mal was rüberreichen". Ein konkreter Betrag wurde nicht genannt. Diese
Besuche wiederholten sich noch zwei Mal, wobei Herr T. den Besucher aufforderte,
sofort das Geschäft zu verlassen.
Foto: privat
Mit dem benachbarten Wein- und
Spirituosenhändler, der mehrere hundert Weine und insgesamt 2000 Einzelartikel
führt, hatte er als sein Geschäft ein Tante-Emma-Laden war, normale
geschäftliche Beziehungen. Sogar ein kleines Weinregal war ihm geschenkt worden.
Auf Initiative des Weinhändlers kam es zu einem Dreiergespräch mit dem Hauswirt.
Dem Weinhändler, der keine israelischen Weine führte, war es ein Dorn im Auge,
daß Herr T. 30 Sorten israelische Weine im Angebot hatte und sechs Flaschen in
seinem Schaufenster präsentierte. Auch würde der Eindruck entstehen, beklagte
der Weinhändler, dass beide Geschäfte zusammengehörten. Das erstaunt, da sich
zwischen beiden Ladeneingängen eine große Haustüre befindet. Dennoch sah er sein
Geschäft beeinträchtigt und forderte Herrn T. auf, diese Produkte aus seinem
Sortiment zu nehmen. Dieser war jedoch dem Weinhändler schon soweit
entgegengekommen, daß er keine koscheren Weine aus anderen Ländern in sein
Sortiment genommen hatte und wies das Ansinnen zurück, da zu jedem Schabbat und
jüdischem Feiertag koscherer Wein gehört.
Der Weinhändler vermutet als Grund für die
Geschäftsaufgabe von Israel Deli "die schwierige wirtschaftliche Lage und das
spezielle Angebot". Nach der Geschäftsumstellung sei der Laden immer leer
gewesen, und "wenn niemand kommt, muss man irgendwann zu machen".
Doch allein im Lauf der Viertelstunde, die sich
die Verfasserin dieses Artikels in der Spirituosenhandlung aufhielt - während
der Berliner Sommerferien, in glühender Mittagshitze und fünf Wochen nach
Schließung des Ladens - wollten drei Menschen in das koschere
Lebensmittelgeschäft.
Mehrmals kamen Angestellte der
Lebensmittelaufsichtsbehörde, weil sich Menschen beschwert hätten - so wurde ihm
mitgeteilt - dass die Waren nicht ordnungsgemäß gekennzeichnet seien. Gemeint
waren die Produkte mit hebräischer Aufschrift, wobei die Angaben ebenfalls auf
englisch auf der Ware standen. Es wurden Waren versiegelt und Proben
mitgenommen, deren Ergebnis Herrn T. niemals mitgeteilt wurden. Warum gerade die
Warenauszeichnung auf englisch und hebräisch ein Problem darstellt ist nicht
nachvollziehbar, da es in Berlin, das stolz auf seine Multikulturalität ist,
viele Lebensmittelgeschäfte gibt, die von Minderheiten betrieben werden und wo
die zweisprachige Warenauszeichnung, bei der keine deutsche Übersetzung
vorhanden ist, kein Problem darstellt.
Die Solidarität, die er hauptsächlich von
türkischen Muslimen und "israelfreundlichen Christen" erfuhr, hat ihn sehr
berührt. Einzelne Menschen, die nicht zu seinen Kunden gehörten, kamen in den
Laden und drückten ihr Bedauern aus. Eine deutsche Hausbewohnerin machte den
arabischsprachigen Tätern gegenüber deutlich, was sie von deren Übergriffen
hielt, und der Hausbesitzer hat die Miete soweit reduziert, dass Herr T. das
Geschäft noch weiterführen hätte können, aber er meint: "Ich war alleine. Die
Angriffe waren zu krass. Mein Geschäft und der Imbiss waren sehr beliebt. Nur
wenn die Leute angepöbelt werden: "Du jüdisches Schwein"...Die hatten zwar
nichts gegen mich, aber sie wollten mit mir nicht auf einer Stufe stehen."
Herr T. bereitet nun seine Auswanderung nach
Israel vor, wo er in einigen Jahren als Ruheständler hin wollte. Er, der vor
seiner Karriere als Geschäftsmann Judo, Karate und Boxen auf Leistungssportebene
betrieben hat und auch Drogen- und Sprengstoffspürhunde ausgebildet hat, sieht
dort mehr Zukunftsmöglichkeiten für sich und seine Familie als in Deutschland -
dem Land, in dem er einigen wenigen Mutigen sein Überleben als verstecktes Kind
verdankt.
Arabischer Antisemitismus in Berlin
Koscher in Berlin
Juden und jüdisches Leben in Berlin