György Konrád:
"Ich bin der Zirkusdirektor"
Er ist ein großer Schriftsteller. Mehr noch ein großer
Mediator zwischen Menschen, Interessen und Welten....
Interview ROLF LAUTENSCHLÄGER
Trotzdem regt sich György Konrád auf über die Kleingeistigkeit in der Berliner
Kulturpolitik. Gleichzeitig kann er über die eigenen Unzulänglichkeiten als
Kulturmanager lachen. Keinen Spaß versteht er, wenn es um den Krieg gegen den
Irak und um Diktatoren geht. Der ungarische Publizist hat selbst unter solchen
gelitten. Diese Woche wird der scheidende Präsident der Akademie der Künste 70
Jahre alt.
taz: Herr Konrád, am 2. April feiern Sie Ihren 70. Geburtstag
György Konrád: ob ich feiere, ist noch die Frage.
Mit Sicherheit räumen Sie aber nach fast sieben Jahren Amtszeit den Stuhl des
Präsidenten der Akademie der Künste. Ein Rückzug auf mehr Schriftstellerei und
ins Rentnerleben?
Schriftstellerei und Rentnerleben sind nicht vollkommen identisch. Aber Sie
haben Recht. Ich will mich etwas zurückziehen, um intensiver arbeiten und
forschen zu können. Außerdem will ich noch etwas von anderen Zivilisationen und
Erdteilen sehen und reisen.
Also keine Lust auf die Budapester Bäder?
Nein. Ich will auch im Alter nicht faul sein. Ich brauche die Bäder nicht. Ich
kann sehr gut in meinem Haus unweit des Plattensees arbeiten. Die Landschaft
dort ist eine Gnade, und viele Künstler haben in dieser Gegend ein Haus.
Blickt der Schriftsteller Konrád heute mehr zurück als nach vorn?
Nein, die Aktualität und die gerade zurückliegende Geschichte sind Teil meines
Interesses. Aber die Vergangenheit bildet das Inventar für mich als
Schriftsteller. Das Inventar im Gedächtnis besteht aus Kindheit, Schule, aus
jungen Kollegen, Verwandten, lieben und schrecklichen Tanten und Onkeln, aus
Freunden, Spitzeln und Anzeigen und so weiter. Die meisten davon leben nicht
mehr, wenn man wie ich 70 wird. Aber die einem nah waren, behält man in der
steten Erinnerung, und wahrscheinlich verdichtet sich die Erinnerung an sie noch
dazu.
Welche Rolle haben die Städte Budapest und Berlin in den vergangenen Jahren
gespielt? Welche ist zur Heimat geworden?
Ich habe heute schon nach beiden Heimweh. Es gibt Ähnlichkeiten zwischen
Budapest und Berlin, besonders die städtischen Formen aus dem Barock und der
Gründerzeit gleichen sich - aber auch die modernistischen Neubausiedlungen bis
in der Stadtmitte hinein wie in Ostberlin. Es sind zwei mitteleuropäische
Städte. Berlin ist ein wenig härter als Budapest.
Preußischer?
Ja, ich meine die urbanistischen Prinzipien. Ich teile übrigens die Pläne,
Berlin wieder nach dem historischen Blocksystem zu rekonstruieren. Das System
der Straßen, Plätze und Blöcke mit Innenhof, wo die Kinder spielen können, war
eine gute Lösung in der Geschichte der Stadt. Das für die verkehrsgerechte Stadt
und das Auto zu zerstören, war ein Leichtsinn.
Aber lassen Sie mich noch einen Vergleich machen: Auch im Temperament gibt es
Ähnlichkeiten. Wir haben auch den so genannten Galgenhumor. Er ist vielleicht
noch etwas schwärzer als der etwas direktere Berliner Humor.
Haben Sie den Humor verloren, als Sie 1997 das Amt des Akademiepräsidenten
antraten? Sie hatten ja einen hohen Anspruch: Auf Ihrer Agenda stand, die
ungarische, osteuropäische und jüdische Kultur mehr in den Mittelpunkt zu
rücken. Sehen Sie das als erfüllt an, oder wurden Sie desillusioniert angesichts
des Tankers Akademie?
Es ist viel aus Osteuropa auf die Bühne der Akademie gekommen. Auch die
Resentiments zwischen Ost und West haben abgenommen. Ich will nicht prahlen,
aber jetzt ist die Akademie für die gesamte Stadt relevant. Aber ich habe ebenso
gelernt, dass eine Institution ein Eigenleben, eine Eigendynamik bildet und
Traditionen und Beziehungen hat. Trotzdem glaube ich, dass ich auch Glück hatte
bei der Arbeit, die oftmals erforderte, Interessen mit "feiner Hand"
durchzusetzen.
Man hat Sie stets als Moderator empfunden. Warum nicht mehr Biss?
Auch ein Moderator hat eine Rolle. Außerdem ist es für Streitfragen nicht
schlecht, wenn man wie ich aus Budapest kommt und mit mehr Distanz auf die Dinge
schaut. Ein Außenstehender sieht die Dinge manchmal dichter.
Trotzdem haben Sie sich aus dem aktuellen politischen Geschäft in Berlin
herausgehalten.
Das wäre tödlich gewesen.
Warum? Sie haben doch immer auch politische Standpunkte bezogen, besonders
unbequeme.
Sicher gibt es Momente, wo man etwas sagen müsste oder sollte. Schon der eigenen
Meinung und der "inneren Wellen" wegen. Aber ein Akademiepräsident ist eher wie
ein Zirkusdirektor, der nicht selbst hochspringt, auf dem Pferd tanzt oder die
Affen dressiert. Doch er führt die Artisten bis zur Kuppel.
Sie haben einmal gesagt, Kulturfunktionäre seien Ihnen verhasst. Warum sind Sie
selbst einer geworden?
Es ist das erst Mal in meinem Leben, dass ich so ein Amt ausübe.
Sie waren Chef des internationalen PEN-Clubs.
Das ist was anderes. Beim PEN sind die Schriftsteller über die ganze Welt
verstreut. Hier bin ich direkt für 170 Mitarbeiter zuständig, man sieht sich
täglich, das ist ein Betrieb, ein Austausch. Weniger beeindruckt hat mich
natürlich, etwa mit politischen Amtsträgern über Etatkürzungen reden zu müssen.
Da bin ich nicht streng, nicht Manager genug gewesen.
Bedauern Sie, die Eröffnung des Neubaus am Pariser Platz, den Sie ja mit
angeschoben haben, nicht als Akademiepräsident eröffnen zu dürfen?
Ich habe dem Bau meine Jahre hier gewidmet. Aber ich bekenne mich zu meiner
Entscheidung, das Amt aufzugeben.
Warum steckt der Bau in einer Finanzkrise? Er wird rund 14 Millionen Euro
teurer.
Berlin steckt in einer Finanzkrise. Außerdem hat der Architekt im Arbeitsprozess
zusätzliche Ansprüche gestellt. Keine gute Lösung war, dass die Akademie nicht
selbst Bauherr war, sondern das Land. Dadurch wurden viele Fragen
verkompliziert.
Wurden Sie von Berlin und dem Architekten Behnisch im Stich gelassen?
Nein. Alle haben ihre Rolle anständig gespielt. Die Akademie hatte natürlich
eine gewisse ästhetische Orientierung. Diese beim Land durchzusetzen war nicht
leicht, konnte aber letztlich mit dem neuen Glasbau ausgedrückt und realisiert
werden. Günter Behnisch, einer der großen Architekten unserer Epoche, hatte
diese Vision. Und Sie wissen, große Personen machen immer Schwierigkeiten
(lacht).
Da hätten doch Sie mittun können.
Das wollte ich nicht. Denn ich habe gesehen, dass ein anderer versucht hat,
seinen Kopf durchzusetzen. Das hat ihm nicht gut getan.
Finden Sie es nicht paradox, dass das Land die Stadt Berlin immer als
Kulturmetropole verkauft und gleichzeitig Kulturinstitutionen wie die Akademie
hängen lässt?
Ich denke, die Akademie wird langfristig dazu beitragen können, die
Kulturlandschaft der Hauptstadt zu befördern und das Bewusstsein für deren
Wichtigkeit zu entwickeln. Es wird eine Akademie von Berlin, Deutschland und
Europa sein. Das Haus am Pariser Platz wird ein Ort für die Öffentlichkeit und
zur Repräsentation werden, etwa für große Gesprächsrunden und andere wichtige
Veranstaltungen. Dort wird sich eine Mischung herstellen aus Künstlern, dem
Freundeskreis, aus Managern und Politikern.
In der Satzung der Akademie heißt es: Die Akademie berät das Land bei allen
wichtigen kulturellen Fragen. Das hat sie gemacht, aber in Sachen Kulturpolitik
oder Stadtentwicklung auch unterlassen. Warum?
Die Akademie ist kein Think-Tank. Sie hat aber denen immer Raum im doppelten
Wortsinn gegeben, die kulturpolitisch agieren wollten und mussten. Der Rat für
die Künste etwa hat immer in unserem Haus getagt. Ich selbst bin nicht der
Meinung, auf alle kulturpolitischen Dinge reagieren zu müssen. Die Akademie muss
sich nicht in jede öffentliche Debatte mischen.
Sie ist doch Teil der Öffentlichkeit.
In der Frage Schloss oder nicht Schloss oder zum Holocaust-Mahnmal habe ich
meine persönliche Meinung ausgedrückt. Aber in der Akademie sitzen mehr Akteure.
Wir sind nicht mehr die Institution zur Zeit des 19. Jahrhunderts, wo der
Präsident seine hohe Meinung kundtut, wir sind demokratisch organisiert, mit
vielen Meinungen. Sie wissen, ich habe mich gegen den Entwurf für das
Holocaust-Mahnmal gestellt, weil er meiner Ansicht nach kein Denkmal für die
Opfer darstellt. Doch das ist nicht die Meinung der Akademie.
Sie haben sich früh schon für die Einheit Europas stark gemacht, den Begriff
"Mitteleuropa" zum Symbol kultureller und zivilisatorischer Gemeinsamkeiten
stilisiert. Heute, vor dem Hintergrund des Irakkriegs, wirkt die sich
vergrößernde EU zerrissener denn je. Was läuft falsch?
Ich wünsche nicht, dass Europa sich darüber zerreißt. Es ist gefährlich, dass
Europa wieder durch zwei Allianzen gespalten wird. Meiner Meinung sollte Europa
sich solidarisch mit den USA zeigen und die Bemühungen um demokratische
Bürgerrechte und Freiheiten unterstützen.
Auch angesichts des US-Krieges mit unwägbaren Folgen und Risiken für die
Menschen und die Region des Nahen Ostens?
Nein, es geht mir um die Bündnisfrage. Die Erfahrungen, dass von Europa zwei
Kriege und die Spaltung ausgegangen sind, bedeutet vielmehr, jetzt nicht wieder
in innereuropäischen konfrontativen Allianzen zu denken. Ich als Mitteleuropäer
denke nicht wie der französische Präsident, der die Osteuropäer regelrecht
diskreditiert hat. Die ehemaligen osteuropäischen Dissidenten mit ihrer
Erfahrung von Diktatur und Unrecht können eine neue, Distanz schaffende Allianz
nicht akzeptieren. Für uns waren die Amerikaner und Engländer immer die
zuverlässigsten Demokraten. Die Deutschen und Franzosen waren es nicht immer.
Sie sind es aber heute.
Ich verstehe die demonstrative Toleranz gegen antidemokratische oder
terroristische Regime nicht. Das ist nicht durchdacht.
Wer versagt denn in Europa derzeit in diesem Prozess?
Sollte man nicht viel strenger sein mit den Politikern? Ich hasse die
antieuropäischen und die antiamerikanischen Haltungen. Eine friedliche Welt
braucht den Dialog - und keinen Streit oder einen kulturellen Relativismus.
Schadet der innereuropäische Streit nachhaltig?
Glücklicherweise nicht. Europa ist schon viel zu verbunden miteinander durch die
Administrationen, die tägliche Arbeit, gemeinsame Gesetze, die Wirtschaft und
menschlichen Beziehungen. Sie sind stark genug, dass sie den aktuellen Konflikt
und die Eitelkeiten überleben. Die Nationen haben tiefere Beziehungen als die
momentanen Regierungen. Es wäre die größte Dummheit Europas, dies beschädigen zu
wollen. Auch die Einteilung in altes und neues Europa ist ein Blödsinn - aber es
zeigt, dass sich nicht alle auf gleicher Augenhöhe sehen.
Wie die Ungarn, die auch den "Brandbrief" unterschrieben haben.
Ja.
Der Schriftsteller Konrád hat manchmal einen pessimistischen Unterton beim Blick
auf die Welt. Der politische Essayist Konrád gegenwärtig auch?
Nein. Es haben sich zu viele Veränderungen in den vergangenen Jahren vollzogen.
Diktaturen sind gefallen, Osteuropa ist demokratisch geworden. Auch andere
Länder und Kulturen sind kompatibel mit Demokratie - auch die islamischen
Staaten. Keine Zivilisation ist zur Diktatur verurteilt.
taz muss sein: Was ist Ihnen die Internetausgabe der taz wert? Sie helfen uns,
wenn Sie diesen Betrag überweisen auf: taz-Verlag Berlin, Postbank Berlin (BLZ
100 100 10), Konto-Nr. 39316-106
© Contrapress media GmbH
Vervielfältigung nur mit Genehmigung des taz-Verlags
DG /
hagalil.com / 03-04-01
•
Startseite
•
English Content
|