Julius Schoeps will Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde
werden:
Tradition verpflichtet
Die Jüdische Gemeinde steht vor Neuwahlen. Nach langem
Kompetenzstreit löste sich die Repräsentantenversammlung auf......
Herr Schoeps, was hat zu der aktuellen dramatischen Führungskrise geführt?
Die Krise hat vier Aspekte: Der Vorstand war nicht in der Lage, den defizitären
Haushalt in Ordnung zu bringen. Er hatte zunehmend Schwierigkeiten, das Konzept
der Einheitsgemeinde, in der sich alle Glaubensrichtungen wiederfinden, zu
definieren. Auch mit der Integration der Zuwanderer aus der ehemaligen
Sowjetunion war der Vorstand überfordert. Und schließlich hat die Abschaffung
der Listenwahl dazu geführt, dass die 21 gewählten Gemeindevertreter sich
jeweils selbst vertreten und die Interessen der Gemeinde aus dem Blick verloren
haben.
Viele sagen jetzt: Die Gemeinde ist so heillos zerstritten, dass Neuwahlen nicht
helfen.
Ich sehe eine Chance für einen Neubeginn. Eine Voraussetzung ist aber, dass
niemand aus dem fünfköpfigen alten Vorstand wieder an die Spitze kommt. Wer auf
der ganzen Linie versagt hat, sollte sich nicht mehr zur Wahl stellen. Das
gebietet der politische Anstand. Jetzt müssen neue Gesichter her.
Sie selbst haben sich ja vor den Wahlen von 2001 entnervt aus der
Gemeindepolitik zurückgezogen. Wollen Sie jetzt wieder antreten, gar für den
Vorsitz kandidieren?
Ich bin bereit, Verantwortung zu übernehmen. Aber erst einmal muss die Gemeinde
eine neue 21-köpfige Repräsentanz wählen, die dann den Vorstand bestimmt. Ich
hoffe, dass sich genügend geeignete Kandidaten melden. Leider haben viele
Gemeindemitglieder keine Lust mehr, sich zu engagieren.
[...]
Sie haben ihr langjähriges Engagement im Gemeindeparlament einmal mit Ihrer
Familiengeschichte begründet.
Ich fühle mich in der Tat dem Erbe meiner Vorfahren verpflichtet. Der Philosoph
Moses Mendelssohn war Ehrenvorsitzender der Gemeinde und David Friedländer, 1809
erster jüdischer Stadtverordneter Berlins, lange Jahre Gemeindevorsitzender.
Heute haben wir es allerdings nicht mehr mit dem in dieser Tradition wurzelnden
deutschen Judentum von vor 1933 zu tun. Die deutschen Juden stellen weniger als
zehn Prozent der Mitglieder. Die Gemeinde setzt sich zusammen aus
osteuropäischen Überlebenden der Konzentrationslager und deren Nachkommen sowie
aus Israelis und russischen Juden.
Aber Sie wollen an die Tradition anknüpfen.
Die Berliner Gemeinde hatte eine große religiöse Bandbreite von
reformorientierten Juden bis hin zu traditionell denkenden. Repräsentanten und
Gemeindevorstände entstammten bürgerlichen Berufen: Rechtsanwälte, Ärzte,
Wissenschaftler.
Wie kann die Finanzkrise gelöst werden?
Die Gemeinde hat einen Jahresetat von circa 25 Millionen Euro. Das entspricht
einem mittelständischen Unternehmen. Man sollte eine Unternehmensberatung
beauftragen, ein Sanierungskonzept zu entwickeln.
[...]
weiter im tagesspiegel
DG /
hagalil.com / 03-03-16
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