Wege des liberalen Judentums - eine Podiumsdiskussion
Gudrun Wilhelmy
Auf dem Weg zu dieser Veranstaltung in der Synagoge
Rykestraße, kam ich an einer Gruppe Juden vorbei, die das sommerliche
Wetter für einen Spaziergang nutzten oder von einer Feier kamen.
Gleichzeitig versammelten
sich in dem kleinen Synagogen-Raum die ersten Besucher zu einer
Podiumsdiskussion und es war schnell klar, das er für alle Besucher zu
klein war.
Die Moderation übernahm Elisa Klapheck, verantwortlich
für das Gemeindeblatt Jüdisches Berlin und bekannt durch
unterschiedliche Aktivitäten. Eingeladen zu dieser
Podiumsdiskussion „Wege des liberalen Judentums“hatte
der neue liberale Rabbiner Ady Assabi. Als Podiumsteilnehmer beteiligten
sich Rabbiner Andreas Nachama aus der Berliner Einheitsgemeinde
kommend, der sich auch als liberaler Rabbiner bezeichnet, Rabbiner
Walter Rothschild aus England, vormals liberaler Rabbiner in der
jüdischen Gemeinde zu Berlin und Rabbiner Jonathan Magonet, Rektor des
Leo-Baeck-College in London. Rabbiner Nathan Peter Levinson, ebenfalls
angekündigt, kam verspätet und nahm daher an der Diskussion nicht mehr
teil.
Auf die Frage nach dem Warum dieser Diskussion,
antwortete Rabbiner Assabi, er wolle Verständnis dafür wecken, dass es
keine Polarisierung geben müsse zwischen Orthodoxie und liberalem
Judentum, sondern auch viele Zwischentöne möglich seien. Dies ließe sich
gerade an einer Einheitsgemeinde in ihrer Vielseitigkeit und
Einzigartigkeit zeigen. Es gehe nicht darum, eine Art des Judentums
hochzuhalten, sondern das Judentum. Für England sprach Rabbiner Magonet
davon, dass sich dort die Menschen für die eine oder andere Synagoge
entscheiden könnten und eine Umorientierung jederzeit für die einzelnen
möglich sei, alle Rabbiner hätten in der Regel am gleichen
Leo-Baeck-College studiert. Trotzdem sei dort alles in Bewegung und für
ihn stelle sich die Frage, ob diese Suche unterstützt oder unterdrückt
würde.
Auch Rabbiner Andreas Nachama will Erneuerung un d
sieht zugleich Chancen für Vielfalt unter einem Dach. Es habe in der
Geschichte immer Minjanim gegeben, die anderes und mit neuen Formen
ausprobierten - mit Erfolg oder auch Niederlagen.
Rabbiner Rothschild sieht eher Konflikte im Bereich
der Liturgie un d innerhalb der Gemeinde
eine ängstliche Zurückhaltung Meinungen zu äußern. Für ihn stellt das
weitaus größere Problem die Tatsache dar, dass nur wenige der rund
12.000 Gemeindemitglieder in Berlin überhaupt in die Synagogen kommen.
Während in anderen Ländern die Gottesdienste
dynamisch, mit Gitarrenbegleitung, als Event gestaltet insbesondere für
junge Menschen interessant sind, mit teilweise 2-3 Rabbinern und
mehreren Kantoren, bewege sich in Berlin - und nicht nur dort - in
dieser Hinsicht viel zu wenig. Dies sprachen in der anschließenden
Fragerunde gleich mehrere Mütter an, deren Kinder sich beim normalen
Synagogenbesuch langweilen. Nachama verwies die religiöse Erziehung
zurück in die Familien, was nicht immer gelänge. Er wolle dies weniger
als eine an die Gesellschaft
abgegebene Aufgabe sehen will. Einig war man sich allerdings, dass zu
wenig Teenager zu den Gottesdiensten kommen.
Interessant waren ganz unterschiedlich gesehene
Polarisierungen: Während Rothschild auf der einen Seite am Judentum
interessierte Juden sieht und andererseits Ignoranten, wollte Nachama
die Interessen der Beter und derer, die nicht in Synagogen gehen, nicht
vermischt sehen. Assabi vertrat den Standpunkt, dass es für ihn zwei
andere Arten gebe: die nach der Halacha leben und diejenigen, die dies
nicht tun. Klar wurde in diesem Zusammenhang, dass die Positionen von
Rabbinern wichtig ist, doch eine Veränderung nur durch die Mitglieder
selbst herbeigeführt werden kann. Rothschild sieht dabei große
Hindernisse, die durch die bestehende Hierarchie vorgegeben seien und
riet dazu, Briefe in die Unterausschüsse zu schicken, obwohl er
andererseits kritisierte, dass Veränderungen „von oben“ kämen oder
blockiert würden. Nachama hingegen bezeichnete die Verwaltung als
„Aktenvernichtungsmaschinerie“ bei der nur „Konfetti“ herauskäme und
sprach sich eher für die Schaffung von Tatsachen aus, wie dies
beispielsweise durch die Gründung der Synagoge Oranienburgerstraße mit
einem egalitären Minjan geschehen sei.
Dass Elisa Klappheck in diesem Zusa mmenhang
nach der Rolle der Rabbiner fragte, war nur schlüssig. Magonet sah deren
Rolle darin, Mut und Wissen zu vermitteln, Nachama wünschte sich
Neuerungen mit einer Konstitutionsphase, um zu sehen, ob daraus eine
Kraft innerhalb der Gemeinde würde, allerdings mit Rückblick auf die
Tradition. Für Assabi stellte die Suche an sich schon etwas Positives
dar und gehörte zum Judentum dazu.
Die Frage der Zuwanderung beantwortete Nachama aus der
Sicht des Historikers und verglich die Situation mit denen Einwand erer
in die USA während der 30er Jahre. Es brauche Geduld, es brauche Zeit,
bis eine Integration und damit auch verbundene Stellungen innerhalb der
Gemeinde zu verwirklichen seien. Er sähe aber bereits heute einige
Ansätze in diese Richtung.
Für Assabi ist die Situation, dass nicht Rabbiner
Fragen des Judentums beantworten, sondern in erster Linie der
Zentralrat, die Repräsentanz usw., einmalig in der Welt. Er sprach sich
daher für Einheit und gegen Uniformität aus. Auch Rothschild bemängelte,
dass er als Rabbiner weniger Informationen über die Gemeindemitglieder
erhalten habe, mit dem Hinweis auf Datenschutz, als zur Zeit als
gewählter Repräsentant im Kultusausschuß.
Zum Schluß ging es um die Finanzen. Einerseits wird
alles Geld an die Einheitsgemeinde eingezahlt, andererseits teilt diese
Gelder wieder aus, ohne dass die einzelnen Synagogen Einfluß auf
Ausgaben haben, beklagte jemand aus dem Publikum. Auch hier wünschten
sich viele mehr Mitbestimmung für ihre eigene Synagoge. Anders in
England: Dort haben die Gemeinden nur das, was die Mitglieder freiwillig
zahlen. Anders in Italien, wo über die Verfügung eines Teils der Steuern
jeder einzelne selbst entscheiden kann. Nachama sprach sich für die
Abschaffung der Kirchensteuer aus, .
Wichtig für viele war auch die Frage nach der
Konvertierung und daraus folgenden Anerkennung als Jude. Alle bisher
durch einen ordentlichen Beth Din durchgeführten, selbst wenn dies in
London geschah, wurden von der Gemeinde an Erew Rosh Hashana 5763
anerkannt. Dies ist Rabbiner Assabi zu verdanken, der sich dafür
eingesetzt hat. Und Gleiches soll auch für die Zukunft gelten, so wurde
versichert.
Rabbiner Assabi, dessen Vertrag zunächst auf ein
halbes Jahr abgeschlossen wurde, sprach das Schlusswort. Für ihn bedeute
liberal, die Meinung der anderen zu akzeptieren, auch wenn sie ihm nicht
passt. „Jedes Mal, wenn ich mit dem Finger auf etwas oder jemanden
zeige, weisen drei zurück auf mich selbst“ sagte er zu den vorgebrachten
Kritiken und auch Vorwürfen. Gerade deshalb habe er für diese Diskussion
den Beginn der zehn Tage Schuwa gewählt, damit sich jeder mit sich
selbst zuerst auseinandersetze. Er verband dies mit dem Appell, sich
selbst nicht zu wichtig zu nehmen. Dann brauche niemand einen anderen zu
beschuldigen, sondern könne stolz auf das sein, was wir für uns selbst
und für andere erreicht hätten. Rabbiner Assabi argumentierte im
wesentlichen aus seinem Verständnis des Judentums, der Auslegung der
Tora, der Halacha, eben rabbinisch. Für die Berliner Juden eine neue,
eine hoffnungsvolle Stimme. Aber Optimismus, so Assabi, sei eben auch
ein jüdisches Gebot.
Rabbiner Ady Assabi z' l'
hagalil.com
11-09-02
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